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Übersicht - Reiseziele - Australien & Ozeanien - Papua-Neuguinea

Sabine Kuegler
Dschungelkind


Was uns unvorstellbar erscheint - Sabine Kuegler hat es erlebt. Unter archaischen Bedingungen wuchs sie im Dschungel West-Papuas auf. Heute lebt sie in Deutschland. »Angst habe ich erst hier kennen gelernt«, sagt sie. Und sie weiß, dass sie zurückkehren wird.

Sabine Kueglers Geschichte beginnt, als sie mit fünf Jahren als Tochter deutscher Sprachforscher und Missionare nach West Papua kommt. Mitten im Urwald lebt die Familie mit dem Fayu-Stamm, der für Kannibalismus und unvorstellbare Brutalität steht und dessen Menschen erst langsam lernen, zu lieben statt zu hassen, zu vergeben statt zu töten.

Für die heranwachsende Sabine wird der Stamm jedoch zum Teil ihrer selbst, der Dschungel zur Liebe ihres Lebens: Sie ist keine Deutsche mehr, kein weißes Mädchen aus Europa, sie wird eine Eingeborene, die schwimmt und jagt, fühlt und handelt wie eine Fayu.

Mit 17 Jahren wird Sabine auf ein Schweizer Internat geschickt, um ihren Schulabschluss zu machen - ein katastrophaler Einschnitt für sie. »Angst habe ich erst hier gelernt«, sagt sie. Und immer spürt sie Heimweh, eine Sehnsucht, die ständig in ihr brennt. Sie wird zurückkehren in den Dschungel, um für sich herauszufinden: Wo gehöre ich hin? Wer bin ich eigentlich, Fayu oder Europäerin?

Leseprobe:
Ich möchte eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Mädchens, das in einem anderen Zeitalter aufwuchs - eine Geschichte von Liebe, Hass, Vergebung, Brutalität, und von der Schönheit des Lebens. Es ist eine wahre Geschichte - es ist meine Geschichte.
Es muss Anfang Oktober gewesen sein. Ich bin 17 Jahre alt, trage eine dunkle Hose, die mir zu groß ist, einen gestreiften Pullover und Halbschuhe, die überall drücken und mir das Gefühl geben, meine Füße werden zerquetscht. Sie tun weh, weil ich bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben ganz selten Schuhe getragen habe. Meine Jacke sieht aus wie aus dem vorigen Jahrhundert (und das ist sie wahrscheinlich auch). Dunkelblau mit einer Kapuze, die mir, als ich sie aufsetze, über die Augen fällt. Es sind Kleider, die ich geschenkt bekommen habe.
Mir ist eiskalt, ich zittere, meine Hände und Ohren kann ich kaum noch spüren. Ich trage weder ein Unterhemd noch Handschuhe, Schal oder eine Mütze. Ich habe mich nicht mehr daran erinnert, wie man sich im Winter anzieht. Ich kenne den Winter kaum.
Ich stehe auf dem Hauptbahnhof in Hamburg. Eisiger Wind pfeift über den Bahnsteig. Es ist kurz nach neun oder zehn, ich weiß es nicht mehr genau. Man hatte mich am Bahnhof abgesetzt und mir erklärt, wie ich den richtigen Zug finde - alles mit vielen Zahlen verbunden. Nach einiger Zeit bin ich tatsächlich auf dem richtigen Bahnsteig angekommen; es ist die Nummer 14.
Ich trage eine Tasche bei mir, die ich ganz fest an mich drücke, und einen Koffer, der das Wenige enthält, das ich mitnehmen konnte. In meiner Hand der Fahrschein, auf den ich zum hundertsten Mal schaue, um mir noch einmal die Nummer meines Waggons einzuprägen.
Ich bin nervös, all meine Sinne sind auf Hochtouren. Ich beobachte misstrauisch die Menschen um mich herum und bin bereit zuzuschlagen, sollte mich jemand angreifen. Aber niemand scheint mich zu beachten.
Es ist alles so neu für mich, so fremd, dunkel und bedrohlich. Ich schaue die Gleise entlang, als ich eine Durchsage höre. Nur zum Teil verstehe ich, was gesagt wird, so viel Lärm ist um mich herum! Ich beobachte, wie sich das Gefährt nähert, das mich in mein neues Leben bringen soll. Meine Augen werden immer größer, denn heute, mit 17 Jahren, sehe ich zum ersten Mal einen richtigen Zug.
Er kommt mit so hoher Geschwindigkeit auf mich zu, dass ich vor Schreck ein paar Schritte zurückweiche. Dieser Zug sieht anders aus als die Züge, die ich in Büchern gesehen habe. Er ist nicht mit Blumen geschmückt, es kommt kein Rauch aus einem Schornstein, und die Farbe ist auch anders. Dieser Zug ist so groß und unheimlich wie ein langer weißer Wurm, der aus einem schwarzen Loch hervorkriecht.
Als er schließlich zum Stehen kommt, beginnen die Menschen wie besessen einzusteigen. Ich verharre noch einige Sekunden unbeweglich, vergesse für einen Moment die Kälte und schaue dieses riesige Fahrzeug vor mir an. Neugier und Angst befallen mich gleichzeitig. Da bemerke ich eine Nummer an der Seite des Waggons vor mir. Ich vergleiche sie mit der auf meinem Fahrschein und sehe, dass sie nicht übereinstimmen. Ich wende mich nach rechts und nach links, der Zug scheint unendlich lang. Kopflos beginne ich zum hinteren Teil des Zuges zu laufen. Die Nummern der Waggons haben nichts mit denen auf meiner Fahrkarte zu tun. Plötzlich höre ich einen lauten Pfiff. Ich schrecke zusammen und schaue mich um. Ein Mann in Uniform hält einen eigenartigen Stab nach oben. Panik kommt in mir hoch, als ich merke, dass es etwas mit der Abfahrt zu tun hat, und schnell springe ich durch die nächste Tür ins Innere. Gerade rechtzeitig, denn schon beginnt der Zug sich zu bewegen.
Ich stehe einen Augenblick da und weiß nicht, was ich machen soll. Mein Herz klopft so stark, als wolle es zerspringen. Da bemerke ich, dass es Türen gibt, die es ermöglichen, durch die einzelnen Wagen zu gehen. Ich laufe los nach vorn. Ich fange an zu schwitzen und sorge dafür, dass ich bloß keinen Augenkontakt mit Fremden aufnehme. Die Waggons scheinen niemals aufzuhören, es geht weiter und weiter. Plötzlich stehe ich in einem Abteil, das schöner aussieht als die, die ich gerade durchlaufen habe - es ist die Erste Klasse. Es gibt keinen Durchgang mehr. Ratlos bleibe ich stehen. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
In diesem Moment taucht ein Mann aus einem Abteil auf und sieht mich. Ich wende mich schnell ab, aber er kommt auf mich zu. Er fragt, ob er mir helfen kann. Ich sehe ihn an, er scheint Ende dreißig zu sein, dunkler Anzug, braune Haare und hellblaue Augen. Ich zeige ihm meine Fahrkarte und frage ihn nach dem Waggon mit dieser Nummer. Gerade kommt auch ein Mann in Uniform den Gang herunter. Nach einem Blick auf meinen Fahrschein teilt er mir gleichgültig mit, dass ich im falschen Zug sei. Mein Herz steht still, ich werde ganz blass im Gesicht. Der Schaffner muss meine Angst gesehen haben, weil er mich schnell beruhigt und mir erklärt, dass es ausnahmsweise zwei Züge gibt, die beide zum selben Zielort fahren.
Ich frage ihn, was ich jetzt machen soll, während ich mit immer größerer Panik kämpfe. Er erklärt mir, dass wir bald anhalten werden und ich dann in den nächsten Zug auf demselben Gleis einsteigen kann.
Nachdem er die Fahrkarte des Mannes mit den blauen Augen kontrolliert hat, der noch immer neben uns steht, verabschiedet sich der Schaffner und geht weiter. Ich schaue ihm nach, spüre einen großen Knoten im Hals und fühle mich sofort wieder völlig hilflos und ausgeliefert. Ich stehe allein mit einem fremden weißen Mann in einem halbdunklen Waggon, in einem fremden Land. Der Gedanke, dass er mich vergewaltigen könnte oder sogar töten, um mich zu bestehlen, schießt durch meinen Kopf. All die Geschichten, die ich über die Gefahren der modernen Welt gehört habe, scheinen Realität zu werden. Wie kann ich mich schützen? Ich habe weder Pfeil und Bogen noch ein Messer bei mir.
Der fremde Mann fragt mich mit einem mitleidigen Lächeln, ob ich nicht in sein Abteil kommen möchte, um dort auf meine Haltestelle zu warten. Ich schüttle den Kopf und antworte, dass ich lieber hier im Gang warte. Er versucht es noch einmal mit der Bemerkung, dass es im Abteil aber viel bequemer sei. Jetzt bin ich mir sicher, dass er mir etwas antun will. Ich sage nein, nehme meinen Koffer und fliehe in den kleinen Freiraum zwischen den Waggons. Er folgt mir und fragt, woher ich komme. Aus Hamburg, antworte ich mit zitternder Stimme.
Zu meiner großen Erleichterung verlangsamt der Zug in diesem Moment seine Geschwindigkeit. Ich stehe vor der Tür, der fremde Mann noch immer hinter mir. Ich bete, dass er wieder weggehen möge. Als der Zug zum Stehen kommt, will ich aussteigen, aber die Tür öffnet sich nicht. Was jetzt? Muss ich irgendwo drücken oder schieben? Ich rüttle an den Griffen, aber es passiert nichts. Da drängt sich der Fremde an mir vorbei, dreht einen roten Hebel, und die Zugtür öffnet sich. Was für eine Erleichterung, als ich endlich den Bahnsteig vor mir sehe! Noch ein Schritt, und ich bin außer Gefahr. Ich bedanke mich schnell und trete ins Freie.
Die Türen schließen sich hinter mir, und ich sehe noch die dunkle Gestalt des Fremden am Fenster des abfahrenden Zuges. Ich schaue mich um, ich bin allein, kein anderer Mensch auf dem Bahnsteig. Es ist dunkel außer ein paar vereinzelten Lichtern über mir. Die Kälte holt mich wieder ein. Ich fange zu zittern an, ein Schmerz, den ich vorher nicht kannte. Meine Zähne klappern, ich sehne mich nach der schwülen Hitze des Tropenwaldes und der heißen Sonne. Ich weiß nicht, wo ich bin oder was ich tun soll, wenn der nächste Zug nicht kommt. Werde ich hier erfrieren?
Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, doch dann hält er vor mir. Zu meiner Erleichterung finde ich diesmal sogar den richtigen Waggon. Ich steige ein, sehe einen freien Platz und vermute, dass ich meinen Koffer in dem großen Fach an der Seite des Ganges abstellen muss, wo auch alle anderen stehen.
Ich lasse mein Hab und Gut zurück in der Gewissheit, dass es gestohlen wird, weil ich von meinem Sitz aus kein Auge darauf haben kann. Doch das ist mir in diesem Moment völlig egal. Meine Beine sind so schwach, meine Füße schmerzen, ich bin müde und verzweifelt.
Als ich endlich sitze, suche ich die Gurte, um mich anzuschnallen. Ich finde nichts und suche auf dem Sitz neben mir, aber auch dort ist nichts. Da bemerke ich, dass keiner der Fahrgäste einen Gurt trägt. Das scheint mir sehr unsicher und gefährlich, aber es muss wohl so sein. Dies hier ist ein fremdes Land … ein Land, dem ich nur auf dem Papier angehöre. Die Bewegung des Zuges wirkt beruhigend auf mich. Ich ziehe meine Schuhe aus und setze mich auf meine Füße, um sie zu wärmen. Die Jacke fest um mich geschlungen, schaue ich aus dem Fenster und betrachte den Mond, der hier so dunkel und klein wirkt, so ärmlich, als sei er am Ausblühen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die an meinen kalten Wangen herunterlaufen. Ich sehne mich nach dem Mond, den ich kenne, einem stolzen Mond voller Kraft und Leben, der mit so großer Helligkeit leuchtet, dass ich nachts meinen eigenen Schatten sehen kann. Ich lehne meinen Kopf zurück und schließe die Augen.
Der Zug fährt immer schneller, meine Gedanken rasen mit ihm. Im Geiste verlasse ich diesen dunklen, kalten Ort. Ich fliege zurück in die Vergangenheit. Blaue, weiße und grüne Farben ziehen vor meinem inneren Auge vorüber. Ich fliege in die Wärme, die Sonne lacht, ihre Strahlen fliegen mit mir, fangen mich ein, tanzen um mich herum und umhüllen meinen Körper mit wohliger Glut. Ich sehe grüne Felder, bunte Städte voller Menschen, tiefe, dunkle Täler, durchschnitten von schmalen Flüssen, und gewaltige, dichte Wälder.
Dann das große Meer, das sich in seiner Unendlichkeit bis zum Horizont erstreckt. Jetzt sehe ich meinen über alles geliebten Urwald vor mir: grüne, stolze Bäume, so weit das Auge reicht; ein wunderschön ausgebreiteter smaragdfarbener Teppich, sanft und doch mächtig, grün und doch voll von Farben jeder Art. Ein Anblick, der sich mir schon Hunderte Male bot, der mich aber jedes Mal wieder mit Bewunderung und Staunen erfüllt. Der mächtige Dschungel von Irian Jaya - mein Zuhause, das Verlorene Tal.

Die Autorin
Geboren 1972 in Nepal, kam Sabine Kuegler mit fünf Jahren in den Dschungel von West Papua, wo ihre Eltern, deutsche Sprachwissenschaftler und Missionare, einen neuen Wirkungskreis gefunden hatten. Zusammen mit ihren beiden Geschwistern verlebte sie dort ihre Kindheit und Jugend fernab der Zivilisation. Mit 17 Jahren kehrte Sabine Kuegler nach Europa zurück. Die Sehnsucht nach dem Dschungel und seinen Menschen lässt sie seither nicht mehr los.

Pressestimmen


"Das persönliche Schicksal von Sabine Kuegler ist anrührend, und ihr ausdrücklicher Wunsch, allen Leserinnen und Lesern "Einblicke in eine andere Welt zu gewähren" hat sie mit dem vorliegenden "Dschungelkind" voll erfüllt."
(brikada, 19.02.2005)

"Das Buch "Dschungelkind" ist beeindruckend."
(ZDF Aspekte, 18.02.2005)

"Ungewöhnlich, interessant und lebendig erzählt."
(Freundin, 02.03.2005)

"Exotisch, ein bisschen Mogli, ein bisschen Tippi - ein Quell für die Sehnsucht der gestressten Arbeits-Menschen nach einem ursprünglicheren Leben, nach dem Abenteuer Wildnis."
(Buchreport Magazin, 02/2005)

"Eine unglaubliche Story über eine einzigartige Odysee zwischen den Kulturen."
(TV Hören und Sehen, 18.02.2005)

Droemer Knaur, 2005, 352 S.
19,90 Euro
Hardcover, M. zahlr. SW-Fotos, Farbfotos auf Taf.
ISBN: 978-3-426-27361-6


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